Das
Gefühl des Reisens verkörpert sich besonders intensiv durch
die symbolhafte Eigenschaft, die beim Anblick eines Schiffes in uns
hervorgerufen wird. Die Vorstellung von der unbekannten Weite beim
Blick über das Meer lassen in uns Sehnsüchte und Wünsche
nach einer Fortbewegung auf diesem unergründbaren Nichts entstehen.
Bei der Visualisierung des Projektes ,REISE" geht es mir um das
Gefühls des Unbestimmbaren, das beim Reisen entsteht. Das Unbekannte
was hinter dem Sichtbaren und dem Bekannten ist _ eintauchen in die
Fremde, bewusst werden, was ,dahinter" ist, die Erlebnisse suchen
in einer uns fernen Welt. Es ist diese Unruhe, die uns immer weiter
in immer fernere und unbekanntere Orte lockt und die Sehnsucht, die
wir in uns tragen, um aus unserem Alltag zu entfliehen _ das nicht
erlebte Ereignis, das Sehnsuchtsgefühl, die Erinnerungen an die
Tage eines Aufenthaltes an einem fernen Ort. Reisen ist für mich
ein momentanes Vergessen des realen Umfeldes und ein Eintauchen in
eine eroberte Nichtwelt, die frei von Zwängen sich entwickelt
_ in UNS.
Markus Quiring
Suprematist |
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Über
das Reisen
Die mindestens einmal jährlich unternommene größere
Urlaubsreise gehört in unseren Breiten zur gutbürgerlichen
Normalität. Oft wird das ganze Jahr über gespart, um drei
oder vier Wochen in Saus und Braus leben zu können - und dabei
bedeutet dieser kurzzeitige besondere Lebensstil ganz und gar nicht
nur den majorkinischen Ballermann von früh bis spät. Was
den Einen der Eimer Hochprozentiges am Strand ist, ist den Zweiten
die Bildungsreise in die Welt der Pharaonen, den Dritten der Leistungsrausch
bei der hochalpinen Skitour und den Vierten wiederum das gute Buch
und viel Ruhe auf La Gomera. Die Reisetypen sind sehr unterschiedlich;
bei allen Reisen ist aber in der Regel das Bestreben der Reisenden
gemeinsam, möglichst schnell am Zielort anzukommen und dort dann
möglichst viel Zeit mit der geplanten Tätigkeit und in der
gewünschten Umgebung verbringen zu können. Die rasante Entwicklung
der modernen Verkehrsmittel kommt diesem Bestreben sehr gelegen: Die
Hauptverkehrsmittel Flugzeug, Auto, Zug und Bus locken die Reisenden
mit dem Versprechen, immer schneller, immer sicherer, immer bequemer
und auch immer billiger zu werden. Von Schiffen hört man in heutigen
Reisezusammenhängen relativ wenig - und wenn, dann eher Negatives.
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Das Geld und
die Zeit für eine lange Kreuzfahrt können die wenigsten
Reisewilligen aufbringen, Fähren tauchen in der Reiseplanung
eher als Hindernis denn als Erlebnis auf. Schiffe und Gefährte
mit Rädern stehen der Menschheit etwa seit der gleichen Zeit
zur Verfügung, nämlich ungefähr seit dem dritten Jahrtausend
vor Christus. Auf der Suche nach dem Neuen und Unbekannten hat sich
der Mensch aber vor allem des Schiffes bedient. Die Weite und Unermesslichkeit
des Meeres, die Rätselhaftigkeit dessen, was wohl am Ende des
Meeres wartet, hat die Menschen magisch angezogen und zu vielerlei
Spekulationen hingerissen. Der Weg ans Ende der Welt wurde über
Jahrhunderte hinweg ganz selbstverständlich mit dem Schiff angetreten.
Vor allem aber gegen Ende des letzten Jahrtausends hat die Bedeutung
des Schiffs für den Personenreiseverkehr rapide abgenommen. Unentdeckte
Gebiete gibt es heute kaum noch - und wenn, dann sind sie gar nicht
oder nur schwerlich mit dem Schiff zu erreichen. Von einem der wichtigsten
Verkehrsmittel wurde das Schiff zum einem Beförderungsvehikel
von Massengütern degradiert. Reisen - dienen sie nun Erholungs-
oder Forschungszwecken - werden in der Regel mit schnelleren und fl
exibleren Fahr- und Flugzeugen unternommen. |
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Allein wenn
es um das Reisen als solches geht, wenn nicht die Dauer und die Kosten
einer Distanzüberbrückung relevant ist, sondern das Unterwegssein,
dann ist das Schiff auch heute noch in Reisekontexten interessant.
Das alles hat der symbolischen Kraft des Schiffes allerdings nur wenig
Abbruch getan. Das Schiff steht auch heute noch wie kaum ein anderes
Verkehrsmittel als Symbol für das Reisen, für menschliche
Unternehmungs- und Entdeckungslust. "John dachte nach. Es gab
so weniges, bei dem Langsamkeit eine Tugend war. Sich über die
Zeit zu erheben - das lockte." Natürlich ist es kein Zufall,
dass Stan Nadolny in seinem Roman "Die Entdeckung der Langsamkeit"
John Franklin zur See fahren lässt. In der Welt des Festland,
in der nur Schnelligkeit zählt, hat sich Franklin wenn überhaupt,
dann nur mit größter Mühe zurecht gefunden. Seine
Meriten hat er sich auf See verdient. Und sicher hätte er es
nicht geschafft, seine besonderen Fähigkeiten - nämlich
die genaue Erfassung der Situation, das Warten auf den geeigneten
Augenblick, um präzise das Richtige zu tun - an Land zu entfalten. |
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Die Schifffahrt
ließ ihm den dafür notwendigen Raum - obwohl sie ihn mit
Situationen wie Seeschlachten und Stürme konfrontierte, die von
Hektik und Eile geprägt waren. Mit Franklin erhebt sich jeder
Seefahrende ein wenig über die Zeit und verkehrt damit die in
der Moderne festzustellende schleichende Entwertung der Räumlichkeit,
die gegenüber der Dimension der Zeit immer mehr in den Hintergrund
tritt. Die - natürlich romantisch verklärte - Assoziation
des Schiffs mit einem ruhigem Schweifen in die Ferne außerhalb
der Zeit bedeutet gegen die moderne Enträumlichung der Welt die
Betonung der Weite, einer sehnsüchtig angestrebten Weite, in
der vielleicht noch das gänzlich Unbekannte seiner Entdeckung
harrt - was für den modernen, mit allen Wassern gewaschenen Menschen
einen besonderen Reiz darstellt. Zudem lockt der Wunsch, sich über
die Zeit zu stellen, in der hektischen modernen Welt sehr stark. Die
Seefahrt erscheint somit als ein Eintauchen in eine gänzlich
andere Welt mit unbekannten Wahrnehmungen, Erlebnissen und Chancen.
Die mit ihr in der Vorstellung verbundene Langsamkeit schafft ein
neues Verhältnis zu Entfernungen - und damit ganz nebenbei auch
zum Fehlen von Entfernungen, also zur Nähe. Der moderne Mensch
ist in Gefahr, sich selbst im Streben nach berufl icher Karriere und
gesellschaftlicher Anerkennung zu verlieren. Das geschäftige
Treiben, das vor allem durch ein striktes Zeitmanagement geprägt
ist, nimmt ihn voll und ganz in Beschlag, für die Beschäftigung
mit sich selbst, mit den eigenen Wünschen, Sorgen und Problemen
bleibt keine Zeit mehr. |
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Zwar klagt der Mensch
gerne und viel darüber, dass ihn der Job auffrisst, ändern
daran tut er aber nichts. Das Eingespanntsein in den Beruf bietet
schließlich neben der Sicherheit einer wohl defi nierten Aufgabe
und der Möglichkeit vergleichsweise leicht zu erringender Erfolge
einen Schutz vor manchmal unangenehmen, schwer zu fassenden und komplexen
Fragen, die die eigene Existenz betreffen. Das Einlassen auf Situation
des Unterwegsseins, das Alleinsein mit sich selbst in der fremden
Umgebung auf Reisen bietet die Gelegenheit eines Rückgangs auf
sich selbst. Symbolisch steht hier die Reise mit dem Schiff für
eine Situation großer Abgeschiedenheit - auch im heutigen Zeitalter
der totalen Kommunikation. Die räumliche Beschränkung auf
das kleine Schiff im riesigen Meer bedeutet zudem neben der Einsamkeit
und dem Ausgeliefertsein auch insofern einen radikalen Bruch mit dem
Alltag, es eine selbst gewählte Beschränkung der eigenen
individuellen Mobilität darstellt und damit den Verzicht auf
einen der meistgeschätzten Kulturwerte unserer Zeit. Ganz im
Kantischen Sinne ist aber genau diese selbstgewählte Immobilität
ein Akt der Freiheit: Indem sich der Mensch über die totale Mobilität
erhebt, schert er aus der ständigen Verfügbarkeit aus und
erhebt sich damit letztlich auch über die Zeit. |
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Auf Reisen gehen, um zu
sich selbst zurück zu kommen - schon mancher hat erfahren, dass
der Weg zu sich selbst einer der weitesten und steinigsten Wege ist.
Vor allem ist es ein Weg, von dem man sich im Alltag allzu gerne ablenken
läßt - was in der Seinsvergessenheit der durchschnittlichen
Alltäglichkeit des heideggerschen Man endet. Sich selbst fi ndet
der Mensch natürlich nicht irgendwo in der Fremde - genauso wenig,
wie er sich durch rastloses Reisen davonlaufen kann. Aber der Bruch
der Alltäglichkeit, den eine Reise bieten kann, wenn sie wirklich
bewusst als Aufbruch in eine neue Welt unternommen wird und damit
den Ausbruch aus der bekannten Welt bedeutet, kann nicht nur neue
Entdeckungen in der äußerlich wahrnehmbaren Welt bescheren,
sondern auch eine Tür ins Innere des Menschen aufstoßen.
Die Flucht in die Welt mit all ihren Reizen hat selten zur wahren
Erfüllung geführt, vielmehr sind es die inneren Werte -
allen voran die eigene Freiheit, die erst in der Selbsterkenntnis
errungen werden kann -, die den Wunsch nach einem Verweilen des Augenblicks
erwachen lassen. Sowenig rastloses Reisen ein Substitut für Selbstbesinnung
sein kann, soviel kann es Anlass, Raum und Zeit dazu bieten. Die Sehnsucht
nach dem Anderen und Fremden, die zum Reisen antreibt, kann damit
beim Eigensten, dem so oft Unbekannt-Bekanntesten enden, beim eigenen
Selbst nämlich. (Christian Rabanus) |
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Den Katalog können Sie bestellen:
Rauminstallation "Reise"
16 Seiten
18 Abbildungen in Farbe
Format: 16 cm x 24 cm
7,- €
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