De.Nittis Piero - Devotion an einen Unbekannten     Im Rahmen des Moguntia Projektes #2 --> moguntia                                                                                  
»Was wir brauchen sind Reliquien« (Christian Boltanski)

mit Margarete Baron

Ausgangssituation:
Am Eingang der rechten Wohnung im ersten Stock befand sich noch ein Namensschild.
»De. Nittis Piero« war darauf zu lesen. Das geprägte Schild wurde mit einem alten Beschriftungsgerät erstellt, leicht abgelöst, improvisiert über ein darunter befindliches Klingelschild geklebt.
Die Wohnung war in einem sehr schlechten Zustand. Alter und Vergänglichkeit waren in jedem Winkel der Räume wahrzunehmen. Die Zeit hatte überall über all ihre Spuren gezeichnet.

        Die Wohnung der Albanstraße wurde durch verschiedene Objekte, Klänge und Eingriffe verändert.         Im Badezimmer wurde in die Wanne ein Keil aus Kernseife gegossen. Ein weiterer Guss verschloss den Toilettenablauf. Der Raum wurde temporär mit einem hier vorgefundenen Heizstrahler beheizt. Der charakteristische Geruch der Kernseife erfüllte das Bad.

Keil: Kernseife, 1200 mm x 800 mm
Toilette: Kernseife 5 Liter
       
    In der Küche montierten wir eine quadratische Platte aus Fettglasur an die Wand. Der Geruch der Schokolade war prägnant. Bei dieser Ton/Rauminstallation war der Monolog eines fiktiven Italieners zu hören. Aus den nicht sichtbaren Lautsprechern war der Monolog eines Mannes zu hören der mit einem Frühstück seinen Tag beginnt. Die speziell eingesetzten Geräusche verselbständigen sich gegen Ende der Szene und klingen als Echo nach.

Platte: Schokoladenfettglasur, 700 mm x 700mm x 40mm
Ton: 2 Breitbandlautsprecher, MP 3 Player und PA
Küchenlampe: Warmtonglühlampe
Text und Stimme: Giuseppe Rizzo, Wien
Noise: Asmus Tietchens, Jon Müller, Hamburg aus CD: 7 Stücke
   
    Im Wohnzimmer wurden zwei Leuchtstoffröhren parallel an der Decke montiert. Das helle, kalte Licht ist typisch für viele italienische Bars. Wir erstellten ein fragmentarisches Arrangement aus bekannten italienischen Schlagern, das den Raum über nichtsichtbare Lautsprecher beschallte.

2 Leuchtstofflampen, 1300 mm, Kaltton
Ton: 2 Breitbandlautsprecher, MP 3 Player und PA
   
    Das Schlafzimmer wurde durch das Durchbrechen der Außenwand verändert. Es entstand eine kleine Kapelle, die an der Rückseite offen war und den Blick auf den Südbahnhof Mainz ermöglichte. Der Raum war mit dem vorhandenen Rollladen abgedunkelt und durch Kerzen in der Kappelle beleuchtet. Gelbe Plastikblumen umsäumten die Installation.

Durchbruch: 380 mm x 450 mm x 600 mm, rund ausgemauert
5 Plastikblumen, Narzissen
3 Ölkerzen, weiß
   
  Konzept:
Die künstlerische Auseinadersetzung findet in einer Wohnung eines uns unbekannten Menschen statt. Beim Durchlaufen der Räume ist man geneigt, alle Dinge analytisch und forschend zu untersuchen. Ein zurückgelassener Gegenstand wird unweigerlich zur Reliquie. Man sucht nach vertrauten Gegenständen der eigenen Konditionierung, die einen aus der befremdeten Situation entbinden. Wir versuchen uns geistig ein Bild zu schaffen von den einstigen Bewohnern. Es ist eine Spurensuche, die permanent unsere Matrix der eigenen Erinnerungen abfragt.
• Wie viele Wohnungsbesuche haben wir wohl schon gemacht?
• Was verbirgt sich hinter all den unbekannten Haustüren?
• Sind wir Kryptografen, die Geschichten eines uns fremden Lebens entschlüsseln?
  Ein Italiener, Piero de Nittis, wohnte hier.
Wir beziehen uns bei unserer künstlerischen Konzeption auf den ehemaligen Bewohner.
Ein Gastarbeiter, der zu Beginn der fünfziger Jahre nach Deutschland kam, zum wirtschaftlichen Aufschwung beitrug und Teil einer geänderten, multikulturellen Gesellschaftsstruktur wurde. Die kollektive Vorstellung, die wir von dem »Kleinen Italiener« haben, der in den Schlagern jener Aufbauzeit besungen wurde und der die so verhassten Deutschen als Erster wieder zum Urlaub in sein Land einlud. Der Italiener, der um die Ecke sein »restaurante« eröffnete, das heute ein struktureller Bestandteil jeder west-deutschen Stadt geworden ist.
  Wer war Piero de Nittis? - Die Wohnung zeigt Spuren eines langen Lebens. Alles hier ist abgewohnt und verbraucht. Lange Zeit wurde hier nicht mehr renoviert und das Erscheinungsbild der Tapeten zeugt von einer Möblierung der sechziger Jahre.
Der Ort ist verlassen, die Einrichtungsgegenstände wurden entfernt, Piero ist unbekannt verzogen oder verstorben? Er könnte nach Italien zurückgegangen sein, erträumtes Glück, ein Haus am Lido, nach einem langen Arbeitsleben. Vielleicht wurde die Wohnung in Bahnhofsnähe von ihm gewählt, um eine schnelle Anbindung nach Rüsselsheim zu den Opelwerken zu haben?

Wir wollen eine Situation des Nachhalls darstellen - das Wiederhörbarmachen eines eingebrannten Echos von einem Menschen, der lange Zeit hier wohnte. Unsere Objekte stellen eine Wechselbeziehung zwischen »zurückgelassen« oder »unverrückbar« (Kapelle) her und somit auch die Frage nach den Dingen, die bleiben.
   
    Eingang           Albanstraße 16           Badezimmer                 Küche           Wohnzimmer           Durchbrochene Aussenwand mit Blick auf Bahnhof                
                                                                                  >> back >> home